Eine Frau steht auf dem Feld, vor ihr ein Hund. Man hört nur ein „To, to, to, to“ und sieht, dass der Hund auf dem Boden schnuppert. Nach weiteren „To, to, to“s dann ein hoch erfreutes „TOP“ ergänzt um ein „Uuiiii, feine Maus, das hast Du super gemacht“. Der Hund bringt währenddessen stolz eine Gummiente zu seinem Frauchen. Das Frauchen bin ich und der Hund ist meine Milli-Mi. Was wir dort machen nennt sich „intermediäre Brücke“ und ist ein Hilfsmittel aus der Werkzeugkiste der positiven Verstärkung. Von Beginn dieser Art des Trainings bis hin zu dieser selbstverständlichen Benutzung der unterschiedlichsten Hilfsmittel aus besagter Werkzeugkiste sind nunmehr über zwölf Jahre vergangen. Der Weg dorthin begann noch viel früher und an einem ganz anderen Punkt.
Im Jahr 2001 zog unsere erste Deutsche Dogge „Camelot“ bei meinen Mann und mir ein. Dass ich eine Hundeschule besuchen würde, war klar, denn so ein großer Hund „der muss ja parieren“, so die Aussage des Züchters. Ein paar entsprechende Tipps in Sachen Erziehung wurden uns dann auch noch mit auf den Weg gegeben. Dazu gehörte natürlich: „Der Hund darf nicht vor dem Menschen durch die Türe gehen und auch nicht auf der Couch liegen, sonst wird er dominant“. Und: „Der gehört auch mal auf den Rücken geschmissen, damit er weiß, wer das Sagen hat“.
Also auf zur Hundeschule vor Ort. In den Junghundekurs. Obwohl Camelot gerade mal 12 Wochen alt war. Aber „für die Welpengruppe ist er ja schon viel zu groß“, lautete die Begründung. Dass das Sensibelchen – wie ich heute weiß – in der Junghundegruppe völlig überfordert war und sich hilfesuchend zwischen meine Beine setzte, das schien niemandem aufzufallen. Und mir kam gar nicht in den Sinn, dass ein Hund Schutz braucht, wenn er doch mit seinesgleichen spielen kann. Spielen macht doch Spaß, oder?
Nach der Junghundegruppe ging es dann in den „normalen“ Erziehungskurs. Was halt damals so als „normal“ galt: Halsband drauf und fester Leinenruck. Wenn der Hund nicht sofort gehorchte, wurde er bestraft – so die Regel. Nun war Camelot zum Glück ein sehr ruhiger und lernfreudiger Rüde, ihn zu bestrafen war nicht notwendig, denn er begriff schnell. Als ich das dem Züchter erzählte, war der alles andere als begeistert: „Wie soll er denn dann wissen, wer der Chef ist? Du musst ihn halt absichtlich dazu verleiten, einen Fehler zu machen, damit du ihm zeigen kannst, dass du ihm Grenzen setzt. Wenn du ihm das nicht klar machst, wirst du große Probleme bekommen, wenn der erst mal ausgewachsen ist.“ Ein überzeugendes Argument, denn wer will schon ein 85 Kilo schweres Problem an der Leine haben? Eben. Noch heute, 14 Jahre später, lässt es mir keine Ruhe, dass ich meinen Camelot damals absichtlich zu einem Fehlverhalten verleitet und ihn anschließend dafür bestraft habe. Dass aus ihm trotzdem ein umgänglicher, problemloser Hund wurde, hatte nichts mit der Erziehungsmethode zu tun, sondern nur mit meinem Glück, in ihm einen besonnenen, ausgeglichenen Vierbeiner zu haben.
Nachdem Camelot gut zwei Jahr alt war, kam seine Wurfschwester Kira zu uns. Wir waren die fünften Besitzer, und Kira war das genaue Gegenteil von Camelot. Sie „hasste“ alle Hunde, die kleiner waren als sie – und das waren die meisten. Da unsere Hundeschule „mit so einem Hund“ nichts anfangen konnte, suchten wir eine neue. Der Trainer, der uns daraufhin Zuhause besuchte, war gelinde gesagt entsetzt, dass unsere Hunde nicht im Zwinger gehalten wurden, sie auf die Couch und ins Bett und sich überall im Haus ihre Liegeplätze aussuchen durften. Kein Wunder, befand der Trainer, hatten wir Kira nicht im Griff. Wir sollten ab sofort die Hunde auf die von uns zugewiesenen Liegeplätze verbannen und vor allem Kira mit Nichtachtung strafen: „Der Hund ist Luft für Sie.“ Wir haben uns das alles angehört – und sind zu dem Entschluss gekommen: Das machen wir auf gar keinen Fall. Kira war eine Seele von Hund und so menschenbezogen, sie wäre daran zugrunde gegangen. Im Februar 2004 brachte Kira acht Welpen zur Welt, sechs von ihnen zogen nach 12 Wochen in ein neues Zuhause. Nachdem nun wieder Ruhe ins Haus eingekehrt war, wollte ich sowohl mit den beiden übrigen Jungspunden Amber und Anakin als auch mit Kira und Camelot unbedingt „arbeiten“. Nur: Ein Training nach alter Schule kam für mich nach meinen bis dahin gemachten Erfahrungen nicht mehr in Frage. Was aber war die Alternative? Ich hörte mich um, fragte nach, konsultierte das Internet, aber es dauerte eine Weile bis ich die Antwort hatte. Dank einer Bekannten, die mir CumCane empfahl. Die auf der Homepage vorgestellte Methode sprach mich so an, dass ich sofort einen Gesprächstermin vereinbarte, zu dem mich die inzwischen acht Monate alte Amber begleitete.
Dieses Treffen wurde zum Wendepunkt:
Ab sofort gingen unsere Hunde nicht mehr am Halsband sondern am Geschirr und wir nicht mehr ohne Futterbeutel auf den Spaziergang. Dass wir in der Ortsgruppe wegen der Brustgeschirre als die „mit den Schlittenhunden“ belächelt wurden, war uns vollkommen egal. Denn wir hatten dank der positiven Verstärkung endlich eine Trainingsmethode gefunden, mit der sich Mensch und Hund wohlfühlten, und dank der wir uns mittels Clicker und Markerwort erfolgreich verständigen und entspannt miteinander bewegen konnten.
Es war ein Traum. Das Training ging mir sehr schnell in Fleisch und Blut über, wie man so schön sagt. Man muss auch gar nicht mehr darüber nachdenken, was man wie machen muss. Man tut es einfach. Es ist wie Autofahren, kann man es einmal, muss man auch nicht mehr überlegen, welchen Gang man einlegt, man fährt einfach und genießt. Ein weiterer Pluspunkt dieser Art des Trainings: ein Hund kann sofort damit beginnen – egal wie alt er ist. War Amber gerade mal acht Monate jung, so waren Kira und Camelot schon drei Jahre alt. Es ist auch völlig egal, was ein Hund bisher im Leben erfahren hat, er wird nicht mit überhöhten Erwartungen und unrealistischen Zielen überfordert, sondern dort abgeholt, wo er sich gerade befindet. Dieses auf die individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten des Hundes abgestimmte Training erlaubt viele kleinschrittige, sichtbare Erfolge, macht dem Hund Spaß und gibt ihm eine nicht zu unterschätzende Sicherheit. Ich bin überzeugt, dass diese Art des Trainings unseren Hunden auch das notwendige Vertrauen gab, Veränderungen in der Gruppe problemlos zu akzeptieren, zum Beispiel, wenn ein Hund starb und ein neues Mitglied hinzukam. Unsere Milli-Mi, ein Mischlingsmädchen, stieß mit zweieinhalb Jahren aus dem Tierschutz zu uns und wurde sofort, mit Brustgeschirr und Schleppleine ausgestattet, in das gemeinsame Training integriert. Obwohl sie von Temperament, Wesen und Körperbau ein komplett anderer Typ Hund ist, gab es zwischen ihr und den Doggen nie Probleme. Inzwischen sind meine Doggen alle über die Regenbogenbrücke gegangen, so dass uns jetzt nur noch Milli-Mi begleitet.
Während der vergangenen zwölf Jahre haben meine Hunde und ich diverse Seminare rund um diese Trainingsmethode besucht. Leben heißt Lernen, und es gibt immer wieder tolle Bausteine, die man vorher vielleicht noch nicht kannte und die dem Menschen helfen, noch besser mit seinem vierbeinigen Begleiter klar zu kommen.
Für mich hat das gewaltfreie Training auf der Grundlage der positiven Verstärkung nur einen Nachteil: Wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, kann man die Augen nicht mehr vor dem gewaltsamen Umgang verschließen, den manche Menschen mit ihren Hunden pflegen. Mir tut es im Herzen weh, beim Spaziergang einen Hund zu sehen, der mit dem in Deutschland immer noch erlaubten Stachelwürger, mit Alphawurf und Geschrei „zur Ordnung“ gerufen wird. Es gibt leider immer noch die, die „das haben wir immer schon so gemacht“ als der Weisheit letzten Schluss ansehen. Und ich brauche mir nur den Vierbeiner ansehen um zu wissen, welche Einstellung sich am anderen Ende der Leine „befindet“. Doch es hat sich bereits einiges getan, ist der Hund für viele Menschen vom zu beherrschenden Objekt zu einem Familienmitglied geworden, das mit Liebe, Achtung und Respekt behandelt wird. Und es ist allen Hunden und ihren Menschen zu wünschen, dass sich dieser Trend fortsetzt.
Zwischenzeitlich ist auch unsere geliebte Milli-Mi über die Regenbogenbrücke gegangen. In ihre Pfotenabdrücke tritt seit kurzem nun „Herr Ruk“.
Auch er hat durch das Training mittels positiver Verstärkung schon so viel gelernt. Sein Markerwort hat er von Milli-Mi übernommen: TOP! Den Clicker kennt der Herr nun auch. Somit sind wir bestens gerüstet uns auf ein wunderschönes Leben zu freuen, in welchem wir beide sicher wieder viel von einander lernen. Mit Liebe, Respekt und Vertrauen.