Qualzucht und Operationen – Ist das noch wahre Freundschaft?

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Irgendwas stimmte nicht – und zwar ganz und gar nicht! Alarmglocken klingelten, ausgelöst durch Rico. Seine Schritte wirkten konzentrierter, seine Kopfhaltung lauernder, sein Schnüffeln intensiver, sein Blick klarer fokussiert. Als Cerebral-Interface meines Hundes funktioniert die Signalübertragung zum Glück in beide Richtungen. Dank seiner deutlichen Vorwarnung meines vierbeinigen Kumpels und um den Überraschungseffekt weiter zu minimieren, schaue ich mich um. Das mache ich als rücksichtsvoller Hundehalter so, aber auch aus purem Eigennutz: jeder, der 40 oder mehr Kilogramm wildgewordenen Molosser an der Leine hatte versteht mich, die sind in ihrem Dickschädel eh schon schwer zu bändigen und mit Überraschungseffekt – noch dazu von so einem akrobatischem Talent wie meinem Rico (er ist dann so ne seltsame Mischung zwischen Bud Spencer und Bruce Lee) – nahezu unaufhaltsam. Doch ich kann nichts entdecken. Sicher hat er irgendwas – wahrscheinlich eine andere Fellnase – gerochen, da haben die Hunde uns Menschen gegenüber ja die Nase weit vorn.

Aber da muss mehr sein, irgendetwas passt ihm nicht. Sein Nackenfell sträubt sich. Okay, das ist so mindestens Alarmstufe 3…je nachdem wie doll es sich aufrichtet und wie breit kann es auch zur Stufe 2 Übergehen…dann zieht es sich schon am Rücken entlang. Erreicht es dann den Rutenansatz, also Alarmstufe 1, versucht sich Rico als canide Form eines Kugelfisches . Der Hund von Welt hat ja schließlich diverse Meeresdokus im TV gesehen (Rico mag übrigens Delphine). Doch was versetzt meinen Fellfreund so in Rage? Auf den Wettkampf der Nasen lasse ich mich gar nicht ein, da ist er mir haushoch überlegen (während mein Richzentrum die größe einer Briefmarke hat, ist seines DIN/A4 groß), doch ich kann nichts sehen, und auch nichts hören. Wir biegen um die Ecke…zum Glück war ich vorbereitet!

Denn da stürmte uns ein röchelnder kleiner Frenchie zu. Die Nase als kleiner Knopf eingebettet in Falten irgendwo zwischen den Augen. Das Ringelschwänzchen zuckte mit den wippenden Bewegungen den Hinterteils. Die großen starren Kugelaugen blickten uns an. Keine Ahung, ob der nun freundlich, ängstlich oder agressiv uns entgegenkam. Ich verstand seine Körpersignale nicht. Naja, ich spreche aber vielleicht auch nicht gut genug die Hundesprache. Ein Blick zu Rico, sagte mir jedoch, dass er den Dialekt auch nicht so recht verstand. Wie denn auch? So mit fester Mimik, ohne Schwanz, dann noch dieses röcheldne Geräusch. Letzteres hatte ihn auch in Unmut versetzt, hatte er es doch lange vor mir gehört. Also antwortete Rico damit, was dem – nach seiner cani-logischen Denke – am ähnlichsten kam. Und das war in seinen Augen: Knurren!

So weit hat es der Mensch schon geschafft, so weit hat er den biblischen Auftrag umgesetzt, sich die Welt Untertan gemacht, dass selbst Artgenossen sich nicht mehr verstehen. Durch Qualzucht erfüllen Hunde zwar die Kriterien von Schiedsrichtern und sammeln so Preise. Ein hungerechtes Leben, oder überhaupt ein beschwerdefreies Leben ist ihnen aber vergönnt. Denn ohne Rute, mit unbeweglicher Mimik, Atemwegen, die nur ein scharrendes Röcheln erlauben, so versteht sie kein anderer Hund (es sei denn er ist mit ihnen aufgewachsen).

Die Tiermedizin verdient gleich mit am Geschäft mit diesen Zuchttieren. Denn nicht selten muss dass dann chirurigisch korrigiert werden, was der Mensch durch Zucht verhundst hat. Ja mehr noch, der neueste Trend in den USA ist die Schönheitschirurgie für Haustiere. Ganze 3,3 Milliarden US-Dollar gaben sie 2011 dafür aus. Ja, sogar für Fettabsaugung. Da werden unsere ältesten Freunde erst gemäßtet und/oder zu wenig bewegt und dann wird ihnen der körperliche und psychische Stress einer OP angetan, um das zu korrigieren, was wir ihnen antaten: zu viel Leckerlis, zu wenig artgerechte Bewegung. Und wer weiß: Vielleicht erleben wir ja nach den Designer-Hunden bald die Frankenstein-Hunde…

Doch auch in anderer Hinsicht verdient die Tiermedizin hier mit: Solche Qualzucht-Rassen finden sich in der Beiss-Statistik als Opfer in den oberen Rängen. Klar, versteht sie doch keiner mehr, nicht einmal ihre Artgenossen. In etwa stelle ich mir das so vor, als ob man uns Menschen die Zunge entfernt, die Augen verbindet, das Gesicht mit Botox lähmt und in eine Zwangsjacke steckt. Als gelegentlicher Partygag, so als Scharade, mag das sicher lustig sein. Aber so leben? Doch genau so züchtet der Mensch und lässt sich dafür auf Ausstellungen noch feiern. Bleibt zu hoffen, dass nicht irgendwelche Menschen auf die Idee kommen, unseren caniden Freunden die Lippen oder das Hinterteil mit Silikon aufzuspritzen. Auf die dann folgenden Kommunikationsstörungen zwischen Hunden bin ich nicht wirklich gespannt – vor allem nicht, wenn mich der kleine wilde Molosser überrascht. Seiner deutlichen Körpersprache sei Dank! Was kümmern mich da fehlende Pokale, wenn ich dafür meinen Hund vertehe…naja, meistens jedenfalls 😉

Seit einiger Zeit regt sich der Widerstand: immer mehr Züchter versuchen sich an Rückzüchtungen, wo die Gesundheit im Vordergrund steht und nicht irgendwelche Standrads. Und selbst im Social-Media Netzwerk Facebook sammeln sich die Gegner, so beispielsweise in der Gruppe „Schluss jetzt, VDH! – Uns reicht’s!“. Denn schließlich tun sich das wahre Freunde ja nicht an – und immerhin ist der Hund der älteste Tierfreund von uns Menschen.

GASSIREPORT

http://gassireport.blogspot.com

Hier berichten Maximilian Pisacane und Doggen-Mix Rico mal aus Hunde-, mal aus Menschensicht von ihren kleinen und großen Abenteuern und vom gemeinsamen bunten Zusammenleben. Der Publizist und Medienprofi Maximilian, schreibt für diverse Medien und berät u.a. Hundeunternehmen in ihrer Kommunikation und Strategie (www.maximilian-pisacane.com). Seit 2013 ist er Herausgeber des sehr erfolgreichen Hundeblogs GASSIREPORT, mit eigener Facebook-Seite, Google+, Twitter, Pinterest und Instagram, sowie Youtube-Kanal. Zwei Geschichten erschienen auch im Buch „Mein Hund heißt NEIN!“ Und der charmant coole Rico war schon in diversen Medien, spielte sogar bei einem Werbespot mit und hatte auch schon TV- und Messe-Auftritte – nicht schlecht für einen Hund aus dem Tierheim mit schwierigem Start ins Leben!