Das Projekt „Mensch, Hund!“

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Coaching am anderen Ende der Leine

Für die meisten von uns ist ein Hund längst nicht mehr „nur ein Hund“. Er ist vollwertiges Familienmitglied, Spielkamerad, Sportsfreund, Arbeitskollege, Therapeut, Spiegel und vieles mehr. Die Beziehung zu unseren Hunden ist bedeutsam, die Rolle der Hunde in unseren Familien- und Gesellschaftssystemen wesentlich. Wie in jeder bedeutsamen Beziehung geht es auch in dieser um Gefühle, um Bedürfnisse und Interessen der Beziehungspartner. Und wie in jeder anderen Beziehung, verläuft der Versuch, beider Interessen unter „einen Hut zu bringen“, nicht immer nur harmonisch und einfach.

Nun möchten wir Hundehalter dem Tier gerne gerecht werden, wollen das Beste für unseren Hund. Vor allem dann, wenn nicht alles „rund“ läuft, die Kommunikation unter Umständen gestört ist, konfrontiert uns dieser Wunsch durchaus mit unseren Ängsten, Schwächen und Mustern. Und mit dem Anspruch, den wir selbst an uns haben oder der von außen an uns gestellt wird. Denn wir sind es ja, die die Entscheidungen treffen (müssen). Dies beginnt beispielsweise bei der Wahl des Futters, dem Kontakt zu anderen Hunden, und zieht sich über Training und Beschäftigung bis hin zur Entscheidung – im wahrsten Sinne des Wortes – über Leben und Tod, nämlich dann, wenn die Stunde des Abschieds gekommen ist. Dass uns diese Konstellation unter Umständen in emotionale Extremsituationen bringen kann, ist nachvollziehbar, findet aber oft nicht die entsprechende Würdigung. 

Der Faktor Mensch im Hundetraining

Der Besuch einer Hundeschule oder die Zusammenarbeit mit einem/r Hundetrainer*in gehört heute – glücklicherweise – für viele Hundehalter*innen zum „Normalprogramm“ – auch unabhängig von auftretenden Problemen. Wenn man sich die Leine im übertragenen Sinne als Verbindung zwischen Besitzer*in und Hund vorstellt, über die zu jedem Zeitpunkt in beide Richtungen Informationen fließen, dann wird schnell klar, dass es sinnvoll ist, auch beide Enden zu betrachten. Oder, dass es umgekehrt Unsinn wäre, nur den Hund zu betrachten. In den allermeisten Fällen werden die Besitzer*innen heute deshalb aktiv ins Hundetraining eingebunden und auch die Kommunikation zwischen Hund und Mensch intensiv in den Blick genommen. 

Separates Coaching für den Hundehalter kommt meist nur dann ins Spiel, wenn es schwerwiegende Probleme gibt und schon wirklich viel versucht wurde. Genauer gesagt, wenn ein Verhalten des Hundes zur großen Belastung im Alltag wird, und vor allem dann, wenn es für den Menschen mit starken unangenehmen Gefühlen verbunden ist, wie zum Beispiel Angst, Hilflosigkeit, Wut, Enttäuschung oder Schuldgefühlen. 

Der springende Punkt, um als Hundehalter*in über ein Coaching nachzudenken, ist, dass die Besitzer*innen erkennen, dass die Thematik etwas mit ihnen zu tun hat und/oder etwas mit ihnen macht. Die „Henne-oder-Ei-Frage“ ist an dieser Stelle allerdings noch nicht geklärt, aber das ist zunächst einmal auch gar nicht so wichtig. 

„Ich weiß ja, dass eigentlich ich am Problemverhalten meines Hundes schuld bin.“ ist ein Satz, den wir zum Beginn eines Coachings wirklich sehr oft hören. Nun ist Schuld ein machtvoller Zusammenhang. Ein sehr starrer Bezug, der Täter und Opfer benennt, und in eine Einbahnstraße, wenn nicht gar in eine Sackgasse führt. 


Michaela Schwestka
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Das letzte Stück des Weges

Schuldgefühle lähmen. Im Coaching kann es deshalb möglicherweise zunächst darum gehen, die Deutungsmöglichkeiten einer solchen Aussage über sich selbst zu vergrößern. Wenn ich „schuld sein“ kann, dann habe ich wohl offenbar Einfluss auf das Verhalten meines Hundes und auf unsere Beziehung. Eine Erkenntnis, die sich durchaus auch positiv umsetzen lässt. Das hebt den Blick und lässt im nächsten Schritt zu, sich mit den Zusammenhängen zwischen mir und dem Verhalten meines Hundes näher zu beschäftigen. 

Die Hemmschwelle, einen Coach, Berater oder Therapeuten zu konsultieren, ist allerdings auch heute noch sehr hoch, noch höher vermutlich, wenn es „nur“ um einen Hund geht, denn diesen Satz, den wir Hundefreunde einerseits so verabscheuen, haben wir andererseits doch ganz schön verinnerlicht. Abgesehen davon, wird, sich Hilfe – vor allem im psychologischen Bereich – zu holen, häufig immer noch als ein Zeichen von persönlicher Schwäche oder Unzulänglichkeit empfunden. Dabei ist dies ein höchst verantwortungsvoller Akt der (Selbs-)fürsorge.

Was sind klassische „Anwendungsfälle“ für ein Besitzercoaching?

Wie eben schon erwähnt, arbeiten viele unserer Klient*innen schon länger mit einem Hundetrainer*in am „Problemverhalten“ des Hundes. Oft stagniert das Training oder wurde sogar bereits frustriert abgebrochen. Sie kommen also mit einem hohen Leidensdruck. Vor allem, wenn es um als „gefährlich“ empfundenes Verhalten des Hundes geht, wie Jagdverhalten oder Aggression gegen Mensch oder Tier, befinden sich die Hundehalter*innen bisweilen in einem Teufelskreis aus Angst und Kontroll- beziehungsweise Vermeidungsverhalten. Die Beziehung zwischen Hund und Besitzer*innen ist an diesem Punkt oft schon erheblich belastet, gegebenenfalls zieht die Thematik sogar weitere Kreise und führt zu Schwierigkeiten im sozialen Umfeld der Besitzer*innen. 

Weitere große Themenbereiche sind „Trauer, Schuld und Scham“ beziehungsweise „Entscheidungsfindung“ im Zusammenhang mit dem (bevorstehenden oder bereits eingetretenen) Tod des Hundes. Hierbei kann es zum Beispiel um die Entscheidungen rund um die Abgabe eines Hundes aus persönlichen Gründen oder um eine Entscheidung zwischen einem kurativen (potenziell heilenden) und einem palliativen (Fokus auf Lebensqualität, keine lebensverlängernden Maßnahmen) Ansatz im Falle einer schweren Erkrankung gehen. Die Trauer um ein Tier ist leider auch heute noch etwas, was gesellschaftlich wenig Anerkennung findet – und sie beginnt nicht zwangsläufig erst nach dem Tod des Hundes. Dies ist häufig mit Scham verbunden. Im Zusammenhang mit dem – gegebenenfalls sogar gewaltsamen – Tod des Hundes spielen Schuldgefühle und Schuldzuweisungen häufig eine Rolle, ein Zustand der zu schwerster psychischer Belastung bis hin zur Traumatisierung führen  – und auf jeden Fall ein Anlass für professionelle Unterstützung von außen sein kann. 

Der Faktor Hund im „Menschencoaching“

Aufgrund der großen und vielschichtigen Bedeutung, die unsere Hunde heute für uns haben, können sie uns in vielerlei Hinsicht einen Spiegel vorhalten. In dem sich neben unseren Bedürfnissen beispielsweise unsere Glaubenssätze, unsere Sicht auf die Dinge und die Welt spiegeln. Häufig begegnen wir in der Beziehung zu unseren Hunden eigenen Mustern, Strategien und Verhaltensweisen, denen wir auch in anderen Lebensbereichen, z. B. im Arbeitskontext oder im zwischenmenschlichen Bereich in ähnlicher Form immer wieder begegnen, wie z. B. einem ausgeprägten Wunsch nach Kontrolle oder bestimmten Ängsten. 

Wie oft sprechen Menschen gerade von einem „schwierigen Hund“ im Nachhinein von ihrem Seelenhund? Denn er war es, der sie mit sich selbst in Kontakt gebracht hat, wie es einem unkomplizierten Hund niemals gelungen wäre. Diese Zusammenhänge – zum Beispiel durch ein Coaching – erkennen und verstehen zu können, ist ein Geschenk von unschätzbarem Wert für alle Beteiligten. 

Und was passiert im Coaching?

Ähnlich wie man im Hundetraining der Fragestellung „Warum tut er das?“ und damit den Zusammenhängen von Bedürfnissen und Ausdrucksverhalten des Hundes nachgeht, erforschen wir im Coaching gemeinsam mit den Hundebesitzern deren Bedürfnisse und die „guten Gründe“ für ihr Verhalten (gegenüber dem Hund). Hierbei geht es zunächst einmal darum wahrzunehmen und zu verstehen, was gerade ist, warum es gerade ist wie es ist, und erst im nächsten Schritt um eine Veränderung. Je nach Thematik können auch ganz konkrete „Maßnahmen“ im Coaching erlernt und eingeübt werden. Zum Beispiel: „Wie holst du dich ins Hier und Jetzt zurück, wie erdest du dich, wenn dir „der Kragen platzt“ oder die Angst dich übermannt?“ Oder die Tierbesitzer*innen lernen, besser zu verstehen, welche Botschaften sie (non)verbal an ihren Hund aussenden. Im Wesentlichen geht es darum, sich selbst im Zusammenleben mit dem Hund besser kennenzulernen und auf Basis neu gewonnener Erkenntnisse die eigene Einstellung und das Verhalten verändern zu können. Was mit ziemlicher Sicherheit zu einer Veränderung zwischen Besitzer*in und Hund führen wird, oft aber viel weitere Kreise zieht. 

In einigen Fällen kann es auch sinnvoll und hilfreich sein, im Coaching mit dem/der Hundetrainer*in zusammenzuarbeiten, z. B. bei einem gemeinsamen „Ortstermin“ oder in einem Telefonat oder Videochat. 

Es kommt übrigens auch vor, dass sich im Rahmen einer Supervision Hundetrainer*innen oder andere Berufsgruppen, die im Tierberuf mit Menschen arbeiten, mit einem kniffeligen Fall, bei dem sie selbst an ihre Grenzen stoßen, an uns wenden, um sich Tipps und neue Ideen für die Arbeit oder dem Umgang mit dem Menschen zu holen oder ein eigenes Thema, das im Arbeitskontext entsteht, zu bearbeiten. Hierzu bieten wir auch immer einmal wieder Workshops oder Seminare für Tierhalter*innen oder Menschen im Tierberuf an.

Probleme sind Lösungen in Arbeitskleidung

Auch wenn es sehr schwer sein kann, das zu sehen, wenn man gerade „mittendrin steckt“, so sind wir doch überzeugt davon, dass jedes Problem das Angebot für eine Entwicklungschance beinhaltet – und dass jeder Mensch die notwendigen Ressourcen für die Lösung für seine Probleme bereits in sich trägt. Was das Thema Trauer angeht, so zitieren wir gerne Chris Paul, die sagte: „Trauern ist die Lösung, nicht das Problem“ und finden es extrem wichtig, diesem Prozess Raum zu geben und ihn zu begleiten. Insbesondere unter Würdigung der besonderen Beziehung zwischen Menschen und ihren Tieren.

Menschen dabei unterstützen zu dürfen, neues Potenzial in sich zu entdecken und zu entwickeln, ihre Themen anzugehen und zu bewältigen ist auch für uns Coaches in jedem einzelnen Fall ein großes Geschenk, und etwas, das es leicht macht, diesen Beruf voller Freude und Begeisterung auszuüben. 

[Über die Autorin]

Michaela Schwestka ist Ärztin, Systemische Therapeutin und Mediatorin. Das Projekt „Mensch, Hund!“ hat sie gemeinsam mit ihrem Mann Udo (der interdisziplinärer Coach ist) ins Leben gerufen. Es beinhaltet neben dem Hundehalter-Coaching auch Weiterbildungs- und Unterstützungsangebote für Hundetrainer, Tierärzte etc., die im Tierberuf mit Menschen arbeiten. Im Oktober 2022 ist ihr Buch „Das letzte Stück des Weges – den Abschied vom Hund bewusst gestalten“, im Kynos-Verlag erschienen, das Hundebesitzer in dieser schweren Phase des Zusammenlebens mit fundierten Informationen, Selbstreflexionsübungen und Entscheidungshilfen begleiten möchte. 

Alle weiteren Infos zum Coaching, Kosten und Terminen finden sich auf der „Mensch, Hund!“-Website https://www.hundebesitzer-coaching.de/